"Experimente" im Physikunterricht
Samstag, 31. März, 10:00 Uhr, H4
"Experiment" ist ein Begriff, der einen weiten Bogen spannt von einer batteriebetriebenen Glühlampe über die Erzeugung eines künstlichen Regenbogens oder den Nachbau einer Windkraftanlage bis zu den empirischen Methoden im allgemeinen, welche in unserem Kulturkreis eine Art der Naturbegegnung und Denkweise darstellen. Gewachsen ist diese Methodik aus tausendfachen analytischen Betrachtungen der äußeren Erscheinungswelt, beispielsweise dem Lauf der Himmelskörper, dem Wandern von Dünensand in der Wüste oder dem Strömen eines Flusses, ebenso wie aus manipulativen technischen Eingriffen, beispielsweise der Vernetzung der menschlichen Lebensräume mit Wasser-, Energie-, Informations- und Kommunikationsnetzwerken, welche unsere Umwelt heute mit gestalten. Dass diese empirischen Methoden keinesfalls einfach zu beschreiben sind, sondern eine komplexe und teilweise nur implizite Struktur (tacit knowledge) aufweisen, mag eine philosophische Implikation einer Methode sein, die nach Präzision, Objektivität und Klarheit strebt.
So vielfältig wie der Begriff "Experiment" und die damit verbundenen empirischen Vorgehensweisen sind auch die pädagogischen und didaktischen Konsequenzen für den naturwissenschaftlichen Unterricht. Mechanische Freihandexperimente, einfache Schaltkreise oder Untersuchungen an optischen Linsen stehen in einem anderen inhaltlichen und methodischen Zusammenhang als etwa der Franck-Hertz-Versuch oder die Behandlung des Doppelspaltexperiments einschließlich philosophischer Konsequenzen. Die Ziele und Gestaltungsmöglichkeiten dieser Experimente sind selbstverständlich verschiedenen und in gewisser Weise auch nicht vergleichbar. Eine Didaktik des Experimentierens kann vor allem bei der Unterscheidung dieser Ebenen des Experimentierens einen Beitrag leisten. Wie auch beim Sprachgebrauch ist das Experimentieren im Unterricht in gewisser Weise ritualisiert und unterscheidet sich von wissenschaftlichen Experimenten ebenso wie von alltagstauglichen quasi-empirischen Strategien. Die Art der Kommunikation im Unterricht ist ebenso wie die des Experimentierens eine künstliche, welche außerhalb des Unterrichts so nicht angewendet werden würde. Gemeint ist damit beispielsweise, dass die einzige Person, die die Antwort kennt, eine Frage stellt an alle anderen, die die Lösung nicht kennen. Ebenso kommt es zu experimentellen Unterrichtsphasen, in denen die Experimentierenden gewissermaßen als Unerfahrene eine maßgeschneiderte erwünschte Beobachtung oder Erfahrung erleben sollen. Dies hat zur Konsequenz, dass man in der Schule vorrangig den Typus "Schulexperimente" kennen lernt. Ergänzt werden können diese durch Forschungsarbeiten oder Besuche in Forschungseinrichtungen sowie eine explizite Thematisierung empirischer Methoden im Unterricht. Die didaktische Herausforderung des Experimentierens liegt darin, dass es primär nicht dem Lernen im Sinne unserer Schule dient und doch das Potenzial in sich birgt, Inhalte, Methoden, sogar ganze Kulturtechniken aufzuzeigen. Die Aufgabe einer Didaktik des Experimentierens ist, dieses allgemeine Potenzial "der" Experimente für den konkreten Fall aufzulösen und so seine ganz spezifische pädagogischdidaktische Absicht deutlich zu machen.
Maike Tesch
Didaktik der Physik, Institut für Physik, Fk. V, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Ammerländer Heerstraße 114-118, 26129 Oldenburg